[Buchrezension] Irrlichtfeuer - Julia Lange
"Was ist mit deinen Ausflügen nach Rothentor?"
"So schwer es mir auch fällt, ich werde damit aufhören müssen. Eine Gattin meines Standes kann sich nicht mehr heimlich in Männerkleidung fortschleichen."
Ein humorloses Lächeln hing auf seinen Lippen. "Du wirst es nicht schaffen."
"Ich muss." Sie war froh, dass sie es nicht musste - jedenfalls nicht länger als ein paar Tage. Schon jetzt würde sie am liebsten losstürmen und ihre Schwingen anlegen.
Sie sah auf den Muff, in dem sich ihre Hände verkrampft hatten. "Es tut mir Leid", flüsterte sie. Einer der wenigen Sätze, die sie genau so meinte.
Von Sora kam keine Antwort.
Sie blickte auf. Er war weg. Nur die Spuren seiner nackten Füße waren im Schnee zurückgeblieben.
Die junge Alba leidet an einer Krankheit, die ihr immer mehr die Kraft aus dem Körper entzieht. Lange hat sie nicht mehr zu leben und jetzt schon schwinden immer wieder ihre Lebensgeister. Doch bevor sie die Welt verlässt, will sie eines getan haben: Fliegen. Daher werkelt sie unermüdlich an ihren selbst gebauten Schwingen - und als sie unverhofft in den Besitz von Irrlicht, der Energiequelle der Stadt, kommt, scheint ihr Traum in greifbare Nähe zu rücken. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass sie durch ihre Taten in die Gefahr geraten würde, von zwielichtigen Gestalten als Spielball genutzt zu werden...
MEINE MEINUNG
Julia Lange hat in ihrem Debüt "Irrlichtfeuer" eine neuartige Fantasy-Welt geschaffen, die mit der Mischung aus altbekannten und frischen Details überzeugen kann. Zwar ist die Gesellschaft und auch die Struktur des Stadtstaats Ijsstedt stark altertümlich angehaucht, die Technologie und besonders die durch Irrlicht gewonnene Elektrik geben dem aber einen ganz neuen Anstrich. Erzählt wird die Geschichte aus vier verschiedenen Sichten, wobei die Figuren etwa gleich oft zu Wort kommen, auch wenn das Augenmerk deutlich auf Alba liegt. Der Schreibstil ist einem Fantasy-Roman angemessen sehr detailreich und beschreibend - gut gefällt aber besonders der gelungene Bruch im Stil je nachdem, ob jemand aus der Unter- oder der Oberschicht erzählt.
Alba ist eine recht willensstarke Heldin, die von einem mitreißenden Traum getrieben wird und einem durch ihre körperliche Schwäche sehr echt erscheint. Allerdings geht mit ihrem Wunsch auch ein gewisser Egoismus einher: Ihr ist so gut wie nichts anderes wichtig. Sie stammt aus der Oberschicht und ist es deshalb nicht anders gewohnt, aber ich fand es doch recht schade, dass sich kaum eine Wandlung ergibt, sondern sie sich bis zum Schluss nicht wirklich für die Belange insbesondere der ärmeren Menschen interessiert. Da gefiel mir das Irrlichtkind Kass besser. Er ist eines von jenen Straßenkindern, das durch einen Unfall viele Jahre zuvor magische Kräfte erhalten hat - und er hasst die damit einhergehenden Pflichten. Er versucht sich aus den Fängen zu befreien, womit er einem sehr sympathisch wird. Interessante Figuren sind aber vor allem der Graf Karel, der versucht, sein Gebiet sauber zu halten, und sein Sohn Rafael, der sich vollkommen in eine Sache verrennt und damit immer weiter in die Dunkelheit abrutscht.
Das Grundgerüst des Romans ist erst einmal nicht neu: Es gibt arm, es gibt reich und es gibt die Revolutionäre, die dies ändern wollen. Dazwischen tummeln sich zwielichtige Gestalten, geborene Anführer und Menschen, die einfach nur ihr Leben leben wollen. Was der Geschichte jedoch das Besondere verleiht, ist das Irrlicht, Segen und Fluch zugleich. Die normalen Bürger leben in Gefahr und arbeiten dafür, während es nur den oberen Schichten zusteht. Dieser Konflikt wird immer wieder angerissen - allerdings geht er in den anderen Problemen der Protagonistin Alba ständig unter. Diese interessiert sich nämlich ganz einfach nicht dafür, sondern einzig und allein für ihren Wunsch nach dem Fliegen. Natürlich muss hier nicht moralisch der Zeigefinger erhoben werden - ein wirkliches Umdenken hätte ich mir aber schon gewünscht.
Stattdessen tut sie nur notgedrungen mal etwas in die richtige Richtung, die restliche Arbeit verrichten im Grunde die anderen Figuren. Immerhin hat Julia Lange mit Rafael Carrasco einen so spannenden Charakter erschaffen, dass man trotzdem gern dran bleibt. Die Art, wie er immer weiter in die Abgründe abdriftet, ist absolut großartig porträtiert. Leider tritt davon abgesehen vieles auf der Stelle und wären nicht einige überraschende Enthüllungen gewesen - das Ganze hätte sich enorm gezogen. Zum Glück zieht das Tempo zum Ende hin wieder an, und während man zwischenzeitlich noch gedacht hatte, es gebe zu viele offene Fäden für einen zufriedenstellenden Schluss, zeigt die Autorin doch noch ihr gesamtes Talent - und führt alles zu einem großen Ganzen zusammen.
FAZIT
Julia Lange verwebt in "Irrlichtfeuer" gekonnt neue und alte Ideen und präsentiert damit einen Fantasy-Roman der sich durchaus sehen lassen kann - auch wenn mir persönlich die Protagonistin nicht wirklich zugesagt hat. Abgesehen von einigen Längen bietet das Buch aber sehr originelle Lesestunden. Knappe 3,5 Punkte!
Autor: Julia Lange
Übersetzer: -
Verlag: Droemer Knaur
Seitenzahl: 528 Seiten
ISBN-13: 978-3-426-51943-1
Die Idee klingt toll das behalte ich im Blick. Besonders was es mit den Schattenkindern auf sich hat würde mich echt voll interessieren. Schöner Tipp :-)
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