Back Down to Earth


[Buchrezension] Ich finde dich - Harlan Coben

Als ich in den Flur trat, erfüllte ein lautes Rauschen meine Ohren. Ich blieb einfach stehen, wartete, bis ich meine Beine wieder spürte. Als das Schwindelgefühl abnahm, ging ich in die Küche und schenkte mir ein Glas kaltes Wasser ein. Ich trank es in großen Schlucken und schenkte es wieder voll. Morgen würde ich böse Kopfschmerzen haben, kein Zweifel.
Erschöpfung lastete auf meinen Gliedmaßen. Ich trat ins Schlafzimmer und schaltete das Licht an. Dort, auf der Bettkante, saß der Mann mit der kastanienbraunen Baseballkappe.

Bildergebnis für ich finde dich harlanINHALT
Vor 6 Jahren musste Jake mit ansehen, wie Natalie, seine große Liebe, einen anderen Mann heiratete. Damals nahm sie ihm das Versprechen ab, nicht nach ihr zu suchen und sie auch nicht zu kontaktieren - und daran hielt er sich. Bis er eines Tages die Todesanzeige ihres Mannes entdeckt und beschließt, ihr sein Beileid auszusprechen. Doch bei der Beerdigung trauert eine andere Frau. Und als Jake herum fragt, kann sich niemand mehr an seine Natalie erinnern. Es ist, als habe sie nie existiert. So begibt er sich auf die Suche und bringt nicht nur sich in Gefahr...

MEINE MEINUNG
Harlan Cobens neuer Thriller "Ich finde dich" hält sich nicht lange mit etwaigem Vorgeplänkel auf, sondern führt den Leser mit der Hochzeit von Natalie in die Geschichte ein. Erzählt wird das Ganze aus der Ich-Perspektive des Protagonisten, wodurch man sich schnell in ihn hineinversetzen kann. Der Stil ist klar und prägnant, vor allem durch die eher kurz gehaltenen Sätze, und insgesamt flüssig zu lesen. Störend sind nur die des Öfteren eingeworfenen Annahmen des Erzählers, mit denen er einem im Grunde vorschreibt, was man denkt oder zu denken hat - Aussagen wie "Ist halt so, verklagen Sie mich doch" sind keine Seltenheit und nerven mit der Zeit, weil sie nicht ins Bild passen.

Jake ist ansonsten aber ein recht sympathischer Protagonist mit einigem Mut und ziemlich viel Courage. Gleichzeitig scheint er jedoch auch nie auf andere Menschen zu hören, sondern muss seinen Willen durchsetzen, wenn er meint, im Recht zu sein. Das führt zu einer Reihe sehr unangenehmer Konsequenzen, wodurch ich seine überstürzten Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte. Natalie wird aufgrund ihres geringen Auftauchens natürlich nicht übermäßig charakterisiert, dies stört jedoch nicht weiter. Mit Jakes bestem Freund Benedict, einem redegewandten Charmeur haben wir dafür nämlich einen sehr interessanten Charakter, der das wieder ausgleicht. Die sonstigen Figuren haben oftmals nicht viel Zeit, um sich zu entfalten und bleiben daher ohne große Ausarbeitung, wirken aber auch nicht direkt blass.

Das Faszinierendste am gesamten Roman ist wohl der Beginn inklusive der ersten 100 bis 200 Seiten - während Jake und der Leser gemeinsam rätseln über die seltsamen Vorgänge. Denn nicht nur ist die Frau am Grab von Natalies Ehemann eine andere, die Leute erinnern sich auch nicht mehr an sie oder an Jake selbst, leugnen sogar die Existenz eines Ortes, der die beiden verbindet. Das alles ist nicht nur äußerst verwirrend, sondern auch absolut spannend, weil auf diese Weise immer mehr Fragen aufgeworfen werden, auf deren Antworten man erst noch warten muss. Auch die Action kommt dabei nicht zu kurz, denn neben Verfolgungsjagden im Wald erwartet einen auch eine äußerst gut geschriebene Kampf-Szene in einem Transporter. Allerdings geht dies alles irgendwann auch zulasten der Logik - denn Protagonist Jake, eigentlich ganz normaler Professor, wenn auch gut gebaut, kann Dinge einstecken, bei denen wohl selbst ein Profi seine Probleme hätte, und muss hinterher nicht einmal ins Krankenhaus. Da ist Kopfschütteln natürlich vorprogrammiert.

Schade ist allerdings vor allem, dass die letztendliche Auflösung der ganzen Geheimniskrämerei und Andeutungen nicht ganz die Spannung hielt, die vorher angekündigt wurde. Zwar sind die Verbindungen durchaus zu erkennen und auch schlüssig, wirklich originell sind sie aber dennoch nicht. Besonders, weil schon 200 Seiten vor dem Ende darauf hingeführt wird und danach nur noch kleinere Details hinzukommen, um auch die letzten Lücken zu stopfen. So ist man als Leser ab der Hälfte lange nicht mehr so gefesselt wie man es zu Anfang war. Trotzdem gelingt es dem Autor immerhin noch, einen gut gelungenen Schluss zu finden, bei dem man zwar über die Moral streiten kann, der aber ansonsten zu überzeugen vermag.

FAZIT
Eine verschwundene Frau, viele Feinde und dazwischen ein Professor - der genau wie der Leser lange nicht weiß, was Sache ist. Auf diese Weise ist die erste Hälfte von Harlan Cobens "Ich finde dich" ziemlich grandios. Danach ist es allerdings mit der Logik nicht mehr weit her und die Auflösung ist nicht wirklich spannend. Von mir gibt es dafür immerhin gute 3 Punkte.


Titel: Ich finde dich
Originaltitel: Six Years
Reihe: Nein
Autor: Harlan Coben
Übersetzer: Gunnar Kwisinki
Verlag: Page & Turner
Seitenzahl: 416 Seiten
ISBN-13: 978-3442204359

  2 Kommentare:

  1. Ich mag eigentlich keine Thriller, aber hier möchte ich jetzt wirklich wissen, wo denn die Frau hin ist :D Und Unlogik stört mich eigentlich gar nicht. Also Danke für den Tipp!

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  2. @Mara K:
    Ich kann natürlich nicht beurteilen, ob das Buch etwas für dich ist, wenn du eigentlich keine Thriller magst - aber einen Versuch ist es wert! Solltest du es dir tatsächlich zulegen, wünsche ich dir natürlich viel Spaß ;)

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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