Back Down to Earth


[Buchrezension] Linna singt - Bettina Belitz

Ich muss jetzt da reingehen. Sie warten auf mich. Mit mir soll die  Band neu auferstehen, das ist Maggies Plan, für einen einzigen Revival-Auftritt auf der Domwiese, wie früher. Wir sind schon gebucht. 
Wir kriegen sogar eine vernünftige Gage. Maggie hat mir Noten und  eine Songliste geschickt. Sie will, dass wir in den kommenden Tagen  alles proben, hier, in Jules’ Haus, wo ich in einer Nacht sehr glücklich  gewesen bin.  Doch keiner von ihnen weiß, dass ich seit fünf Jahren keinen einzigen Ton mehr gesungen habe.

INHALT
Vor 5 Jahren hat Linna die Band, die sie mit vier Freunden hatte, aufgelöst. Seitdem hat sie keinen von ihnen wiedergesehen. Doch nun wollen sie ein letztes Konzert geben - und fahren zum Proben gemeinsam in die Berge zu einer kleinen Hütte. Aber nichts ist so wie gedacht: Alle scheinen sich verändert und gegen Linna verbündet zu haben, immer wieder wird sie ausgegrenzt und als Lügnerin dargestellt. Als auch noch Botschaften an den Wänden auftauchen, die Hütte eingeschneit wird und Psychospiele beginnen, die Nerven aufzureiben, weiß Linna, dass sie handeln muss. Sie muss den anderen erzählen, was geschehen ist und dass sie seitdem keinen Ton gesungen hat. Doch damit muss sie unglaublich viel von sich preisgeben...

BUCHAUFMACHUNG
Das Cover ist sehr schlicht gehalten mit dem hellblauen Hintergrund und der Schneekugel als einziges Element, was aber dennoch wunderhübsch aussieht. So richtig atemberaubend wird es allerdings erst ohne den Schutzumschlag - darunter ist das Buch in einem strahlenden Weiß gehalten und mir roten Schnörkeln versehen, sodass man sich gar nicht entscheiden kann, ob man das Werk nun mit oder ohne Umschlag ins Regal stellen möchte.

MEINE MEINUNG
Von Bettina Belitz hört und sieht man viel - in Foren und Blogs wird von ihren Büchern nur so geschwärmt. Nun wollte ich mir mit "Linna singt" selbst ein Bild machen, um entscheiden zu können, ob ich mehr davon möchte. Und die Antwort lautet ganz klar: Ja, ich will! Unbedingt!

Erzählt wird die Geschichte im Präsens aus der Ich-Perspektive von Linna, wobei die Zeitform - für mich allerdings ohne ersichtlichen Grund - im letzten Kapitel ins Präteritum wechselt. Durch die Beschreibungen und die Dichte der Emotionen und Gedanken kann man sich von Anfang an mit der Hauptperson identifizieren, selbst wenn sie einem überhaupt nicht ähnlich ist. Ihre starke und doch verletzliche Art kommt durch den beschreibenden, bildlichen und wenig umgangssprachlichen Stil, der mich sofort gefangen nahm, perfekt zum Ausdruck. Allerdings kann man manche Ereignisse durch die einseitige Sicht auf die Dinge nur schwer nachvollziehen und einige englische Begriffe [wie "Halo" statt "Heiligenschein"] stören den Lesefluss.

Linna verhält sich anderen Personen gegenüber oftmals kalt und abweisend. Sie hat ein Schutzschild aufgebaut, hinter dem sie sich verschanzt, sodass niemand an sie herankommt. Dennoch ist sie verletzlich, was der Leser von Anfang an spüren kann. Das Verhalten ihrer eigentlichen Freunde geht ihr nahe und ihre Vergangenheit macht ihr zu schaffen. Im Laufe der Handlung öffnet sie sich mehr, geht aber nicht völlig aus sich heraus, was die Entwicklung glaubwürdig und nachvollziehbar macht. Dass sie allerdings all die Beschimpfungen und Beleidigungen klaglos über sich ergehen lässt, nur um ihre Stärke zu demonstrieren, ist nicht immer völlig nachvollziehbar.

Für ihre Freunde entwickelt man an vielen Stellen nur in geringem Maße Sympathie. Da ist Maggie, weinerlich, ängstlich und  schon immer eifersüchtig auf Linna. Sie ist abschätzig und schadenfroh, wirkt allerdings zwischenzeitlich etwas übertrieben. Jules, der ehemals beste Freunde, ist aggressiv und gleichzeitig seltsam leer geworden, etwas scheint ihn zu bedrücken, was auch den Leser rätseln lässt. Maggies Bruder Simon hat all seine Freude verloren und scheint ebenfalls von etwas geplagt zu werden. Nur Falk ist wie früher: Zynisch, hart, aber anziehend männlich. Und dann ist da noch Tobias, der junge Mann, der die Hütte zur Verfügung gestellt hat und mit dem keiner so recht etwas anfangen kann. Alle Figuren sind wunderbar ausgearbeitet, wirken aber durch die vielen Geheimnisse und Probleme nicht immer komplett glaubwürdig.

Bettina Belitz hat sich einen perfekt passenden Schauplatz ausgesucht: Eine einsame Hütte in den Bergen mit viel Schnee, einer Sauna und zu wenig Brennholz. Es ist klar, dass das Probleme gibt und diese setzt sie spannend und sorgfältig durchdacht um. Ob nun die Kälte auf das Innere der Hütte übergreift, die frischen Lebensmittel ausgehen oder der Strom aufgrund von leeren Gasflaschen ausfällt - die Spannungen zwischen den jungen Menschen verdichten sich. Dazu tragen auch die Spielchen bei, die sie sich ausdenken und infolge derer immer Linna der schwarze Peter zugeschoben wird. Die Atmosphäre ist auf seine Weise düster, vor allem durch die Geheimnisse, und geradezu erschreckend intensiv. Dass es allerdings alle anderen nur wegen der Bandauflösung, die 5 Jahre zurückliegt, auf Linna abgesehen haben und sogar an den unmöglichsten Stellen auf ihre Schuld plädieren, konnte ich nicht immer glauben.

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Geschichte selbst, den Geheimnissen, Veränderungen und der Suche nach demjenigen, der Botschaften an Wände schreibt und die Übrigen verängstigen will. Eine kleine Liebesgeschichte ist dennoch vorhanden, wenn auch ganz anders als vielleicht gedacht: Völlig kitschlos, mit einigem Kribbeln, aber auch mit trauriger Gewissheit, dass es nicht für immer sein wird, nimmt sie mit und geht sehr tief. Auch die Spannung wird die gesamte Zeit über aufrecht erhalten - von Verleumdungen über Prügeleien bis hin zu heftigen Zickenkriegen ist alles dabei, was dem Leser immer ein leichtes, aber fast schon wohliges, Unbehagen beschert. Die Auflösung des Übeltäters fand ich dagegen dann eher enttäuschend. Ich war mir schnell sehr sicher, wer hinter all dem steckt und hätte mir einen anderen, vor allem mit einem besseren Motiv versehenen, Schluss gewünscht. Durch dieses - zumindest für mich - vorhersehbare Ende hat sich das Werk leider die Chance auf die volle Punktzahl verwehrt, mir aber dennoch beim Zuklappen ein Gefühl der vollsten Zufriedenheit geschenkt.

FAZIT
"Linna singt" besitzt eine düster-geheimnisvolle Atmosphäre, ist spannend und überzeugt auch im Zwischenmenschlichen. Einige Aktionen und Anschuldigen fand ich jedoch zu übertrieben, ebenso wie mir der Schluss zu vorhersehbar war. Für einige lauschige Nachmittage mit einem wohligen Schauer aber genau das Richtige! 4 Punkte.


Titel: Linna singt
Originaltitel: -
Reihe: Nein
Autor: Bettina Belitz
Übersetzer: -
Verlag: Script5
Seitenzahl: 512 Seiten
ISBN-13: 978-3839001394

  6 Kommentare:

  1. Das hört sich gut an. Schon die Inhaltsangabe hat mich gelockt, deine Rezension macht dann richtig Lust aufs lesen!

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  2. Hi, Sonne!
    Der Roman läßt psychologisch an härteren Tobak denken. Ex-Freunde, die sich außer spitzen Vorwürfen nicht mehr viel zu geben haben. Und ein Hütten-Knabe, der ein miserabler Hausherr ist, wenn vom Holz bis zum Gas alles mies bevorratet scheint.

    Könnte auch böse Absicht sein!

    Cabin in the snow, quasi... :-)

    bonté

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  3. @Katie:
    Solltest du dir das Werk holen, wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen - ich fand's echt klasse und kann es nur empfehlen ;)

    @RoM:
    Ja, der Tobi ist ganz bestimmt ein mieser Hausherr - womit du mit deiner kleinen Idee da nicht unbedingt falsch liegst :D
    Und ja, dein alternativer Titel passt gar nicht schlecht, nur die gruseligen Albtraum-Monster und das viele Blut bleiben aus ;)

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  4. "Linna singt" möchte ich unbedingt noch lesen! Ich habe schon von einigen Seiten gehört, dass das Ende wohl leicht enttäuschend sein soll. Der Rest hingegen stimmt mich höchst optimistisch und die Story macht mich sowieso sehr neugierig. Kann man das Buch eigentlich ein wenig mit "Wenn es dunkel" vergleichen? Also jetzt von der Ausgangssituation und der Spannung innerhalb einer Gruppe bezogen. Ich werde es mir irgendwann auf jeden Fall mal besorgen und kann nur sagen: tolle Rezi!

    Liebe Grüße
    Reni

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  5. @Reni:
    Bei dem Klappentext habe ich auch ein bisschen an "Wenn es dunkel wird" gedacht und auch einige kleinere Elemente sind in gewisser Weise so wie da. Ich würde aber sagen, dass "Linna singt" auch aufgrund der größeren Seitenzahl etwas tiefer geht und halt auch eine andere Ausgangssituation besitzt. Und Linna ist eine sehr viel stärkere Protagonistin als Melody. Ich denke, das Buch könnte dir gefallen ;) Und das Ende ist nicht wirklich enttäuschend - nur die Auflösung etwas vorhersehbar. Ich bin gespannt auf deine Meinung, solltest du es dir zulegen!

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  6. Danke für deine Rezi! Ich bin ja erst bei ca. 150 Seiten und hab sie jetzt mal trotzdem glesen. Es ging gerade los mit Flaschendrehen und dass Linna als Lügnerin hingestellt wird. Schon spannend, das Ganze und ich hoffe, dass noch alles aufgelöst wird. WAS passierte, WARUM jeder so ist, wie er rüberkommt, usw.
    Du MUSST unbedingt die Splitterherz-Trilo lesen, die Bücher gehören zum intensivsten Leseerlebnis, das ich je hatte. Sie werden dir auch sehr gefallen, da bin ich mir sicher!
    Drück!
    Damaris

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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