Back Down to Earth


[Buchrezension] Wie viel Leben passt in eine Tüte? - Donna Freitas

"Rose", sagte Will und legte mir seine Hand auf den Arm. "Ich unterhalte mich wirklich gern mit dir." Er sah mich an. "Es macht mir Spaß."
Eiskalte Winterluft strömte durch die halb offene Tür in den Wagen und ich fröstelte, doch ich erwiderte noch einmal den Blick seiner blauen Augen. "Mir auch", antwortete ich.
Wills Hand verweilte einen Moment auf meinem Arm, und als er sie schließlich wegnahm, stieg ich aus. Als ich zum Haus zurückging und mich mit jedem Schritt weiter von ihm entfernte, spürte ich seine Berührung, als wären seine Finger immer noch da.

INHALT
Seit ihre Mutter an Krebs gestorben ist, hat sich Rose so weit zurückgezogen wie nur irgend möglich. Sie hört keine Musik mehr, vermeidet Besuche im Stadion und kann Berührungen nicht mehr ertragen. Doch dann entdeckt sie etwas, was ihre Mutter ihr hinterlassen hat: Eines ihrer Survival Kits, für die sie berühmt war, mit allerlei Dingen gefüllt, die Rose helfen sollen. Und alle führen sie auf irgendeine Weise zu Will Doniger, der bei der Gartenpflege hilft und dessen Vater ebenfalls an Krebs starb. Er ist es, der Rose endlich wieder glücklich macht und zum Lachen bringt. Aber auch er trägt sein Päckchen und scheint es einfach nicht loswerden zu können...

BUCHAUFMACHUNG
Die Gestaltung des Werkes ist sehr viel origineller als es auf dem Bild zuerst scheint - der Umschlag besteht nämlich nur aus einer weißlichen Hülle, die noch etwas von der orangen Buchfarbe durchschimmern lässt und so rosafarben erscheint. Darin sind die Buchstaben des Titels ausgestanzt, sodass diese sich orangefarben abheben. Originell in seiner Schlichtheit und eindeutig wunderschön! 

MEINE MEINUNG
Zwar habe ich letztens erst ein Jugendbuch gelesen, in dem es zu großem Teil um den Tod eines Familienmitglieds ging, dennoch konnte ich auch von "Wie viel Leben passt in eine Tüte?" nicht die Finger lassen - solche Werke sind oftmals so berührend und schön, dass es traurig wäre, sie nicht zu lesen. Und auch hier bin ich wieder froh, auf mein Bauchgefühl gehört zu haben, denn dieser Debütroman überzeugt fast komplett.

Donna Freitas besitzt einen jugendbuchtypischen Stil mit relativ wenig Umgebungsbeschreibungen - wenn, dann aber sehr gezielt und athmosphärisch - und einem großen Anteil an Gefühl. Dies passt natürlich zur Geschichte um Verlust, Trauer und Liebe. Dabei lässt sich das Buch einfach so weglesen, die flüssige Art und die von Anfang an stimmige Hauptperson, in die man sich durch die Ich-Perspektive perfekt hineinversetzen kann, lassen einen kaum stocken und immer weiterlesen. Einzig und allein, dass die Autorin ganz oft Tage oder Wochen überspringt, obwohl Rose eigentlich noch etwas Bestimmtes vorhat, störte mich zwischendurch etwas, weil es wirkt, als wäre hier etwas gestrichen worden.

Rose ist eine sympathische Protagonistin, die man sofort ins Herz schließt. Sie ist seit dem Tod ihrer Mutter sehr zurückgezogen, was sehr gut nachzuvollziehen ist - ihre Gedanken und Emotionen werden immer sehr glaubwürdig beschrieben. Man leidet und lebt mit und erlebt ihre gesamten Höhen und Tiefen. Zwischenzeitlich wird sie recht ichbezogen, aber dennoch ist sie die meiste Zeit über eine Figur, mit der man sich perfekt identifizieren kann. Will Doniger, der Junge, mit dem sie zuvor nie auch nur ein Wort gewechselt hat und der ihr im Laufe des Buches eine große Stütze wird, hat es selbst nicht leicht. Auch sein Vater ist verstorben und er trauert noch immer. Er ist in der Öffentlichkeit sehr schüchtern, ansonsten aber ein freundlicher, offenherziger und sehr süßer Typ, weswegen man ihn schnell gern hat, mit all seinen Ecken und Kanten.

Aber auch die Nebenfiguren sind wunderbar ausgearbeitet. Angefangen von Roses indischer Freundin Krupa, die immer für sie da ist, sie nie im Stich lässt und alles tut, damit es ihr wieder besser geht. Oder ihrem Bruder Jim, einem liebenswürdigen junger Mann, der genau wie sie nicht weiß, wie er mit seiner Trauer umgehen soll. Großmutter Madison ist immer sehr rau und eher unfreundlich, aber damit versucht sie nur, die Familie zusammenzuhalten, was sie sehr sympathisch macht. Und der Vater, der mit seinem Verlust einfach nicht umgehen kann und diesen im Alkoholkonsum ertränkt, schafft es dennoch, durch seine Liebe zu seiner Familie zu überzeugen. All diese Figuren und noch ein paar mehr bevölkern das Buch und machen es so lebendig. 

Die Geschichte selbst wird durch das Survival Kit, das ihre Mutter Rose hinterlassen hat, sehr originell. Es dreht sich eben nicht nur um die Trauer und das Leben mit dem Verlust, sondern auch um Fantasie und darum, herauszufinden, was es mit den Dingen in der Tüte auf sich hat. Alle haben eine besondere Bedeutung und helfen Rose, weiterzumachen und mit all dem ein wenig leichter umzugehen. Dabei hilft ihr natürlich Will, der anfangs sehr schweigsam und abweisend ist. Schon nach kurzer Zeit bemerkt man aber, was er ihr gibt und umgekehrt. Die beiden bieten sich Halt und Liebe, was wunderschön mitzuverfolgen ist. Er hat definitiv seine Fehler, aber diese sind immer glaubwürdig und machen ihn im Grunde nur noch sympathischer. 

Mit der ruhigen, schönen Art schafft Donna Freitas es mit ihrem Roman sicherlich, Mut zu geben, ja, vielleicht sogar Trost zu spenden. Denn auch hier gelingt es Rose, sich aus der Trauer wieder herauszukämpfen und endlich wieder Glück zu empfinden. Der Halt durch ihre Familie und ihre Freunde wird wunderbar dargestellt, in manchen Szenen auch so berührend, dass einem das Wasser tatsächlich in den Augen steht. Emotional ist es auf jeden Fall! Etwas klischeehaft und typisch wird es kurz vor Ende noch einmal, aber auch dieser Aspekt wird glaubwürdig eingesetzt und sehr zufriedenstellend aufgelöst - sodass am Ende wohl nur Wohlgefallen zurückbleibt über ein Buch, das Höhen und Tiefen zeigt, und das auf eine sehr berührende Weise.

FAZIT
"Wie viel Leben passt in eine Tüte?" ist emotional mitreißend, ruhig geschrieben und besitzt eine sehr sympathische Protagonistin sowie ebenso liebenswürdige Nebencharaktere. Dabei geht die Autorin intensiv, aber sanft, mit dem Thema Tod um und schafft es, den Leser lange nicht mehr loszulassen. Sehr zu empfehlen! 4,5 Punkte.


Titel: Wie viel Leben passt in eine Tüte?
Originaltitel: The Survival Kit
Reihe: Nein
Autor: Donna Freitas
Übersetzer: Christine Gallus
Verlag: Gabriel bei Thienemann
Seitenzahl: 400 Seiten
ISBN-13: 978-3522303125

  6 Kommentare:

  1. Klingt ja sehr interessant, schöne Rezi! Ich mag nicht so gerne deprimierende Bücher, aber du beschreibst es ja als sehr schön. Mal sehen, vielleicht kaufe ich mir das mal, wenn ich wieder in der Stadt bin :-)

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  2. Wundervoll geschrieben! Ich war noch etwas unenschlossen, obwohl das Buch schon lange auf meiner Wunschliste steht. Aber wenn es dich SO stark überzeugen konnte, dann bin ich mir fast sicher, dass es was für mich ist. Deine genannten Argumente sprechnen schon mal eine eindeutige Sprache, die sagt: kauf/lies mich! Ich bin gespannt. :)

    Liebe Grüße
    Reni

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  3. Hallo, Sonne.

    Einen Menschen, der einem viel bedeutet, vor der Zeit zu verlieren, ist wie ein gestreckter Sprung in die eigene Magengrube. Der Verlust wird zum Leid. Das Leid zum engen Begleiter Deines Lebens. Trauer...
    Hier dann ein Lächeln zu pflanzen, ist von mehr Bedeutung als jedes Imperium.

    Wie Du schreibst - ein gutes Thema für ein Buch.

    bonté

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  4. Merci für die Buchbeschreibung!

    LG,

    Tanja
    http://scrap-4-fun.blogspot.de/

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  5. @ApfelSinchen:
    Also "deprimierend" würde ich das Buch auf keinen Fall nennen! Es hat sehr schöne und auch witzige Momente, die das Ganze immer wieder auflockern. Ich kann's dir nur empfehlen :)

    @Reni:
    Danke für das Kompliment! Also ich kann dir das Buch wirklich nur empfehlen - es ist zwischenzeitlich sehr ergreifend und auch ein wenig traurig, aber es besitzt auch sehr witzige Szenen, die alles fröhlicher machen. So ist das Ganze sehr ausgewogen - und wirklich schön. Solltest du dir das Buch zulegen, hoffe ich natürlich jetzt schon mal ganz fest, dass es dir dann ebenso gefallen wird wie mir! ;)

    @RoM:
    Auch im Buch wird die Trauer als ständiger und nie vergehender Begleiter beschreiben - und das ist auch verständlich. Donna Freitas schafft es dennoch, auch mal aufzulockern und das ist in einem solchen Buch sehr besonders. Von daher hast du das sehr treffend beschrieben, treffender wohl als ich ;)

    @Tanja:
    Dann danke ich für den Kommentar! :)

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  6. Ich liebe diese Rezension - klingt nach einem so schönen emotionalen Buch :-)
    Hab durch dich mein Glück bei Bloggdeinbuch probiert & das Buch heute zugesprochen bekommen - mein erstes von der Plattform wohlgemerkt - & ich freu mich schon sehr darauf! :-)
    Ich bekomme zur Zeit so viele Bücher... ;-)

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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