Back Down to Earth


Der Märchenerzähler - Antonia Michaelis


Ihre Zähne schlugen unkontrollierbar aufeinander, es war wie Schüttelfrost bei hohem Fieber. Sie zwang sich, einen Ast zu nehmen, Blätter und Erde zur Seite zu scharren. Hinsehen, hinsehen, nicht wegsehen, du musst jetzt hinsehen. Das waren keine Kleider. Natürlich nicht. Nicht nur. Dort, unter der Erde, lag der Körper einer Frau.

,Inhalt:
Eigentlich leben Anna und Abel in vollkommen unterschiedlichen Welten. Sie die Wohlhabende, Hübsche, Beliebte, er der Arme, der Schulschwänzer, der Drogendealer. Doch trotzdem wird sie auf ihn aufmerksam und nähert sich ihm, vorsichtig, verhalten, doch so, dass er sie nicht übersehen kann. Und sie entdeckt seine sanfte Seite - wenn er mit seiner kleinen Schwester Micha lacht, für die er sorgt, und wenn er seine Märchen von der kleinen Klippenkönigin erzählt.
Nach anfänglichem Misstrauen nimmt er auch Anna mit auf die Reise in seine Märchen, lässt sie teilhaben an den Geschichten und Welten, die er aus seinen Worten erschafft. Sie verliert sich in der Handlung und in Abels Welt, ohne zu ahnen, dass sie so immer mehr hineingezogen wird in etwas nicht abschätzbar Bedrohliches. Denn Abels Märchen scheinen mit der Realität verknüpft zu sein, mit einer grausamen Realität. Und als in seinen Geschichten ein Verräter auftaucht, schwebt Anna in großer Gefahr.


Die Buchgestaltung:
Der Schutzumschlag ist glatt und sehr dünn und leicht. Auf dem Cover ist ein Mädchen zu sehen, das zwischen Sträuchern [Buschwindröschen?] vor einem großen See steht. Alles ist leicht grünlich gehalten, was eine bedrückene Aura ausstrahlt.
Nimmt man den Umschlag ab, kommt dasselbe Bild noch einmal zum Vorschein, nur ohne das Mädchen.


Meine Meinung:
Das Buch beginnt sofort. Antonia Michaelis hält sich nicht lang mit irgendwelchen Umschweifen, großen Erklärungen oder sonstigem auf, sondern wirft den Leser sofort mitten in die Handlung. Und der Prolog beginnt gleich sehr schaurig mit viel, viel Blut und einer Leiche. Man erfährt erst am Ende, was das zu bedeuten hat.

Dann geht es um Anna. Und schon vom ersten Augenblick hat mich der Schreibstil der Autorin hier gefesselt. Sie zeigt sehr bildlich die Welt ihrer Protagonistin, veranschaulicht mit vielen Gedanken und Gefühlen deren Welt, doch sie lässt es niemals zu viel werden. Alles hat sein geregeltes Maß. Und das ist wunderschön.

Anna ist ein Mädchen, das was weiß, was es will, gesegnet mit recht viel Geld und sehr verständnisvollen Eltern. Aber ihre Welt ist ihr zu sanft, zu steril [ein Wort, was sehr häufig benutzt wird, aber immer passt]. Sie fühlt sich wie in einer Blase gefangen. Bis sie sich beginnt für Abel zu interessieren. Und plötzlich will sie raus aus ihrer Blase und einfach leben.

Eigentlich mag ich sie als Charakter. Sie ist stark, aber nicht zu stark, sie ist nett, aber nicht zu nett. Das Einzige, was mich extrem gestört hat, das war ihre Naivität. Sie vertraut allem und jedem, sie rennt Abel hinterher und kommt jedes Mal wieder, wenn er sie zurückweist. Richtig krass tritt das an einer Stelle in der Mitte des Buches auf und am Ende. Aber ich würde spoilern, würde ich da jetzt ausführlicher werden. Sagen will ich nur, dass ich da wirklich den Kopf geschüttelt und gedacht habe: Das kann die jetzt nicht ernsthaft tun!

Abel dagegen ist eine Person, die man einerseits abgrundtief hasst und gleichzeitig mit ganzem Herzen liebt. Jedenfalls geht es mir so. Er hat eine sehr dunkle Seite, ein paar dunkle Geheimnisse und nur seine Liebe zu Micha, seiner Schwester, und Anna lässt ihn erstrahlen. Und dann wird er wirklich jemand, den man nur ins Herz schließen kann, jemand, der alles für die tut, die er liebt. Aber dann wieder tut er Dinge, die einem den Atem stocken lassen und die einem bewusst machen, dass er eben kein wirklich guter Mensch ist. Besonders zum Ende her wurde mir mehrmals vor Augen geführt, was für ein schweres Schicksal er hat und wie schwer es sein muss, dennoch weiterzuleben. Das mit einer solchen Intensität, dass ich mehrmals schwer geschluckt habe.

Der Leser wird zwar zwischendurch auf eine falsche Fährte gelockt, wer letztendlich der Täter in diesem Buch ist, aber vielleicht, ja vielleicht, war doch von Anfang an klar, wer es war. Und das fand ich hier toll. Dass das tatsächlich durchgezogen wurde. Ein Satz, der vielleicht schon zu viel verrät, aber ich muss ihn dazu schreiben: So etwas trauen sich nicht viele. Und deswegen liebe ich dieses Buch.

Auch die Sequenzen, wenn Abel sein Märchen von der kleinen Klippenkönigin und ihren Gefährten erzählt, haben mich sehr bewegt. Weil sie mich solchem Geschick und solch wunderschönen Worten ge- und beschrieben sind, dass sie einen einfach fesseln. Vor allem deshalb, weil Abel sich eben nicht nur Dinge ausdenkt, sondern auch die Realität damit verbindet. Und weil er Anna auch mittendrin immer wieder unbemerkt vor seiner dunklen Seite warnt, was dem Leser aber erst viel später, gemeinsam mit ihr, aufgeht.

Das Ende ist wirklich schockierend. Etwas Schreckliches geschieht und das war der Moment, in dem bei mir alle Dämme gebrochen sind. Ich konnte nur noch dasitzen und vor mich hinschluchzen, denn es ist mir einfach sehr, sehr nahe gegangen. Ich kann bei Büchern und Filmen sowieso schneller weinen als in der Realität. Aber trotzdem: Macht euch darauf gefasst, dass eure Augen hinterher vielleicht nicht mehr trocken sein werden.

Für mich wurde die Spannung in diesem Werk durchweg sehr hoch gehalten. Es hat schöne Momente, in denen man einfach nur in der Liebe von Abel zu Anna und von Abel zu Micha [und umgekehrt] schwelgt, und dann wieder gibt es Momente, die das Herz schneller schlagen lassen, weil man sich fragt, was als Nächstes passiert.

Ein wirklich gutes Buch! Das Einzige, was mir sauer aufgestoßen ist, war diese schreckliche Naivität von Anna. Doch weil ich auch jetzt noch über all das nachdenken muss und noch immer ein bisschen aufgelöst bin, verdient es trotzdem volle Punktzahl. Weil es einfach nicht mehr loslässt.


  3 Kommentare:

  1. das buch hört sich gut an! DAS muss ich mir auch mal besorgen!

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  2. Jepp, das Buch ist einfach wunderschön!!!! Gehört definitiv zu den Buchjuwelen des Jahres!! :) Ich empfehle es auch absolut jeden weiter!

    LG
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    Jeden Montag neuer Lesestoff

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  3. Ich habs ja nun auch gelesen und stimme dir vollkommen zu.
    Mit Annas Naivität hatte ich auch zu kämpfen, aber ich muss sagen, dass Antonia Michaelis das so gut geschrieben und beschrieben hat, dass ich mich richtig in sie hineinvversetzen konnte und dann doch irgendwie total nachvollziehen konnte was sie tut.

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Die Bloggerin

Kittyzer, 22 Jahre alt, früher als Sonne bekannt. Gebürtige Niedersachsin, die für die Arbeit nach Rheinland-Pfalz gezogen ist. Schreibt über Bücher, Filme, Serien und Mainz. Um mehr zu erfahren, → klicke hier

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