Back Down to Earth


[Buchrezension] Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte - Crystal Chan

Einmal hatte ich im Garten eine Pfeilspitze gefunden, doch als ich ins Haus rannte, um sie ihnen zu zeigen, sah Mama mich bloß streng an, und anstatt gemeinsam mit mir zu überlegen, wie lange sie wohl schon dort gelegen hatte und welcher uralte Stamm sie gefertigt haben könnte, oder mich zu fragen, ob ich später mal Archäologin werden wolle, sagte sie nur: "Bring das Ding wieder nach draußen. Du weißt doch, dass du hier nicht mit schmutzigen Schuhen reinkommen sollst."
So ging das immer. Jedes Mal, wenn irgendetwas Cooles passierte, interessierte es sie überhaupt nicht. Es war, als wäre Bird das einzig Coole gewesen, was je passiert war, und als könnte jetzt, wo er nicht mehr da war, nie wieder etwas toll oder aufregend oder geheimnisvoll sein.

INHALT
Am Tag ihrer Geburt starb Jewels Bruder Bird - und ihr ganzes Leben wird überschattet von dieser tragischen Begebenheit: Ihr Großvater spricht nicht mehr, ihren Eltern kann sie es kaum je Recht machen, die anderen Stadtbewohner sehen sie seltsam an. Doch dann begegnet sie an ihrem 12. Geburtstag John und mit ihm wird alles anders. Er bringt sie zum Lachen und erzählt ihr Dinge über das Universum, von denen sie noch nie gehört hat. Und durch ihn bringt sie auch endlich den Mut auf, etwas dafür zu tun, selbst als die wahrgenommen zu werden, die sie ist...

MEINE MEINUNG
"Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte" ist ein Kinderbuch - und doch so viel mehr. Crystal Chan gelingt es auf einnehmende und wunderschöne Art, einen mit den schwierigen Themen, die sie anspricht, und der gleichzeitig sommerlichen Atmosphäre einzunehmen, selbst wenn man viel älter ist als die 12-jährige Protagonistin. Der Schreibstil ist dem angepeilten Alter der Leser angepasst, in Hinsicht auf das Universum und das Leben selbst auch einfach und erklärend, dabei aber ebenso voller bezaubernder Beschreibungen und nachdenklich stimmender Wahrheiten.

Jewel ist eine Protagonistin, die schnell begeistert. Sie wirkt reifer als viele Charaktere in Büchern für ältere Leser, und besitzt eine kindlich-naive, aber auch bewegende Ausdrucksweise. Sie besitzt nicht nur ein umfassendes Wissen über die Erde und Steine, schließlich will sie Geologin werden, sie ist auch trotz ihrer Familienprobleme ein aufgewecktes Mädchen, das im Laufe der Handlung immer selbstsicherer wird. John ist von Anfang an ein ebenso gut gelauntes Kind, dabei allerdings eher frech und willensstark. Er ergänzt sich perfekt mit ihr, und auch wenn er so seine kleinen Kanten hat, ist er ein liebenswerter Junge. Jewels Familie ist dann noch einmal ein anderes Kaliber: Sowohl der Großvater als auch die Eltern verstecken ihre Gefühle hinter Schweigen, was anfangs sehr ungewohnt ist. Mit der Zeit zeigen jedoch auch sie ihre weiche Seite und insbesondere der Opa wird zu einer Figur, die man ins Herz schließt.

Jewels Bruder Bird ist tot, und alle sind der Meinung, dass ihr Großvater aufgrund seiner Reden vom Fliegen und der Freiheit daran Schuld ist. Und auch Jewel scheint in gewisser Weise verantwortlich gemacht zu werden, denn sie wurde an genau dem Tag geboren, als ihr Bruder ging. Aufgrund dieser Tatsachen hat sie es nicht wirklich einfach, was für den Leser, der sie so schnell ins Herz geschlossen hat, mitunter schwer zu ertragen ist. Sie lässt sich davon jedoch nicht abschrecken und hat trotzdem ihre ganz eigenen Träume, erlebt dennoch ihre ganz eigenen Abenteuer. Einen Freund findet sie in John - und dieser bringt sich auf eine Art in ihre Familie ein, wie sie das nicht erwartet hätte. Die Beiden verstehen sich sofort auf eine regelrecht seelenverwandte Art, begegnen sich mit Respekt und Freundschaft, was absolut schön zu beobachten ist, ebenso, wie sie sich gegenseitig Kraft und Freude geben.

Zwischenzeitlich werden auch Geheimnisse gelüftet und Lügen, mitunter auch sehr verletzende, werden aufgedeckt. Als Jewel lernt, mutiger zu werden, beginnt sie sogar, die Dinge zu hinterfragen, die ihre Eltern ihr erzählen und sich dafür einzusetzen, dass ihr Großvater nicht mehr nur ein stiller Gast ist. Crystal Chan erzählt mit berührender Leichtigkeit davon, wie die Figuren sich selbst finden und lernen, was es bedeutet, wirklich zu leben. Bis zum Ende hält sie durch die Entwicklungen und Wendungen kontinuierlich die Spannung aufrecht, weil man Jewel so gern auf ihrem Weg begleitet. Nicht alles funktioniert beim ersten Mal oder so wie man es gern hätte, aber auf einfühlsame Weise wird dennoch gezeigt, dass letztendlich alles gut werden kann. Und das gibt ein schönes Gefühl.

FAZIT
"Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte", ist sehr viel mehr als ein Kinderbuch - auch älteren Lesern kann es zeigen, dass Mut und Zuversicht im Leben wichtig sind, um zu erreichen, was man möchte. Crystal Chan hat wunderbare Persönlichkeiten erschaffen, die man lieben lernt, und die Geschichte regt zum Nachdenken und Mitfühlen an. Meine Leseempfehlung! 4,5 Punkte.


Titel: Bird und ich und der Sommer, in dem ich fliegen lernte
Originaltitel: Bird
Autor: Crystal Chan
Übersetzer: Sandra Knuffinke, Jessica Komina
Verlag: Magellan
Seitenzahl: 304 Seiten
ISBN-13: 978-3734847035


  6 Kommentare:

  1. Das Buch ist schon auf dem Weg zu mir, deshalb habe ich jetzt mal nur dein Fazit gelesen und die Bewertung angeschaut. Klingt ja beides richtig gut. Jetzt freue ich mich noch mehr auf das Buch! :)

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  2. Salut, Sonne.
    Ein wunderbares Thema. Nicht viel schmerzt so intensiv wie die Ablehnung; der Verlust - aber der ist eng mit der Zurückweisung verbunden. Im Leben wie eben in diesem Buch.

    Wie kommen Jewels Eltern auf den schiefen Trichter, ihr ihr am Leben sein vorzuwerfen...
    Deinen Worten entnehme ich allerdings, daß sich dies im Verlauf auch ausleuchtet.

    Das Cover der Originalausgabe birgt eine andere Stimmung als die hiesige.
    Der deutsche Titel wirkt fast wie der Versuch einer Synopsis.

    Also ist doch noch ein anmerkenswerter Roman, Dir in die Hände geflogen!
    :-)

    bonté

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  3. ...Du magst es auf Deinem Schild vermerken:
    Besagtes Buch habe ich auf Grund Deiner Lobpreisung dem Händler angediehen, es mir zu bringen.
    Wohlan, seid bedankt junge Schildmaid!

    Ich habe heute e i n d e u t i g zuviel über das mittelalterliche Rittertum gelesen... :-)

    bonté

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  4. ...off topic.
    Obschon Du bei Horror eher wenig mit anfangen willst - hast Du 'When Animals Dream' in Erwägung gezogen?

    bonté

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  5. @Moena:
    Meine Rezensionen kann man theoretisch auch für dem eigenen Lesen lesen, ich spoilere nämlich nicht so ;)
    So oder so - solltest du es schon gelesen haben, hoffe ich, du hattest ebenso viel Freude daran wie ich, solltest du es noch vor dir haben, wünsche ich dir wunderbare Lesestunden!

    @RoM:
    Ja, kann man wohl so sagen, endlich mal ein gutes Buch! Wurde aber leider keine Strähne danach :/
    Es ist schon recht schwer zwischenzeitlich, zu verfolgen, wie die Eltern sich von Jewel abgrenzen und sie nicht so recht teilhaben lassen. Aber ja, das wird besser im Laufe der Handlung ;)
    Und ich freue mich natürlich total, dass ich dir das Buch so schmackhaft machen konnte, dass du es haben musstest. Jetzt hoffe ich sehr, dass es dir ebenso gefallen wird wie mir!
    Aber "When Animals Dream" steht eher nicht auf meiner Liste, nein. Horror gucke ich ja nur, wenn's ohne Schockmomente mit viel Blut ist, ansonsten fürchte ich mich zu sehr, egal worum es geht :D

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  6. Ich habe das Buch immer noch vor mir, weil es leider noch nicht bei mir angekommen ist. Aber ich freue mich immer noch aufs Lesen. :)

    Dass ich bei deiner Rezension nur das Fazit und die Bewertung angeschaut habe, lag auch eher daran, dass ich gerne möglichst unvoreingenommen an ein Buch herangehe, wenn ich schon genau weiß, dass ich es bald lesen will. Ansonsten lese ich Rezensionen auch im Ganzen. ;)

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Die Bloggerin

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